Begin typing your search above and press return to search. Press Esc to cancel.

Aufgabe einer zukünftigen Medizin

Der Neurobiologe Professor Gerald Hüther berichtet von folgender Erfahrung: „Im vergangenen Jahr [2013] habe ich an meiner Universität versucht, eine Vorlesungsreihe für Medizinstudenten zum Thema „Salutogenese und Selbstheilung“ anzubieten. Die für die Genehmigung solcher Lehrangebote zuständige Kommission bat mich um Geduld. Das Problem: Der Lernzielkatalog für das Medizinstudium beschreibt zwar über hundert Lernziele – sie reichen vom sachgemässen Anlegen eines Wundverbands bis zum Ausfüllen des Totenscheins -, aber Begriffe wie „Salutogenese“ oder gar „Selbstheilung“ sucht man dort vergebens. Der Erwerb von Kenntnissen über das, was einen Menschen gesund erhält, und über die im Verlauf eines Heilungsprozesses im Körper ablaufenden Reorganisationsprozesse ist als Lernziel für künftige Ärzte nicht vorgesehen.


Noch ist in den Gehirnen der meisten Mediziner, offenbar auch derjenigen, die unsere künftigen Ärzte ausbilden, die Überzeugung fest verankert, dass Menschen deshalb krank werden, weil etwas in ihrem Körper nicht ordnungsgemäss funktioniert, und dass es ihre Aufgabe sei, diesen Defekt ausfindig zu machen, zu reparieren und den Erkrankten auf diese Weise zu heilen. Wer so denkt, kann freilich mit den Erkenntnissen der Salutogenese und Selbstheilung wenig anfangen.“


Er fährt fort: „Alle lebenden Systeme, also jedes Ökosystem, jedes soziale System, jeder Organismus als körperliches System und nicht zuletzt unser eigenes Nervensystem, formen sich selbst, gestalten sich selbst und entwickeln ihre jeweiligen strukturellen und funktionellen Merkmale durch fortwährende Anpassung der Beziehungen ihrer jeweiligen Subsysteme an die Erfordernisse der sich ständig verändernden äusseren Lebenswelt. […] Und wer das verstanden hat, versteht dann auch ganz von allein, dass niemand einen anderen Menschen heilen kann, dass jede Heilung Ausdruck des gleichen, sich selbst organisierenden Prozesses, nur jetzt unter günstigeren Rahmenbedingungen, ist. So, dass es wieder „heilen“ kann. Und diesen Selbstheilungsprozess möglichst kompetent zu begleiten und unter Zuhilfenahme all dessen zu ermöglichen, was die medizinische Wissenschaft und die Medizintechnik an dazu geeigneten Verfahren und Instrumenten entwickelt haben, ist höchste ärztliche Kunst und zentrale Aufgabe einer zukünftigen Medizin.“


Es ist ganz wichtig, dass wir unsere Bewusstseinskraft in der Weise bemühen, dass uns klar wird: Auch wenn die Medizin kein Heilmittel zur Verfügung hat, das – statistisch nachgewiesen – heilen kann, gibt es trotzdem eine Fülle von Möglichkeiten, um die selbstregulierenden, die neuorganisierenden, die heilenden Kräfte in unserem Sein zu stärken.

 

 

Josef Ulrich: Selbstheilungskräfte. Quellen der Gesundheit und Lebensqualität. aethera, 3. Auflage, 2017

Einen Kommentar hinterlassen

Schreiben Sie hier Ihren Kommentar