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Hirnstörungen und Hirnschäden

Synkopen (anfallsartig einsetzende, kurz dauernde Ohnmachtsanfälle infolge Minderdurchblutung des Gehirns) können bei neuen Antidepressiva und atypischen Neuroleptika auftreten, Hirnzellverluste und zerebrovaskuläre Ereignisse eher bei letzteren. […]

 

Eine von typischen Neuroleptika her bekannte Störung ist das Defizit-Syndrom. Die Symptomatik ist gekennzeichnet durch bleibende Antriebslosigkeit und eine Verminderung der Willensstärke, der Spontaneität, emotionaler Regungen und der Zuwendung zur Umwelt. Andere Bezeichnungen für diese Neuroleptika-Wirkung sind „neuroleptisches apathisches Syndrom“ oder „Syndrom der gebrochenen Feder“. Lassen der Antrieb und das Bedürfnis zu sprechen und nach sozialen Kontakten nach, können diese Symptome Vorboten eines Defizit-Syndroms sein. Defizit-Syndrome können chronisch werden. Interpretieren Psychiater die Symptome als „Negativsymptomatik im Rahmen der Schizophrenie“ oder „adynamisches Verpuppungs-Syndrom“, besteht die grosse Gefahr, dass sie die Dosis erhöhen oder zusätzliche Neuroleptika und Elektroschocks verabreichen.

 

Defizite bei Intelligenzwerten können durch Hirnzellverluste hervorgerufen werden, speziell durch Verminderung der grauen Substanz der Hirnrinde und Apoptosis. Hierunter versteht man das von der betreffenden Zelle selbst aktiv durchgeführte Sich-Abstossen aus dem Gewebe, eine Form des programmierten Zelltods. Es kann von aussen angeregt oder aufgrund von zellinternen Prozessen ausgelöst werden. Die Verabreichung von Neuroleptika, atypischer inklusive, ist Ärzten bekannt als eine Ursache dieser Entwicklung.

 

Auch atypische Neuroleptika führen zu Hirnzellverlusten. […]

 

Ein Team um Raphael Bonelli von der psychiatrischen Universitätsklinik Graz untersuchte den Einfluss von atypischen (Olanzapin, Risperidon, Zotepin) und herkömmlichen Neuroleptika (Melperon, Flupentixol, Haloperidol, Prothipendyl) auf lebende Hirnzellen, indem es den Spiegel des Proteins Transglutaminase (tTG) im Liquor (Gehirn- Rückenmark-Flüssigkeit) mass. Ein erhöhter tTG-Spiegel gilt als Indiz für eine sich entwickelnde Alzheimer-Krankheit. Bonelli und Kollegen publizierten 2005 ihre Ergebnisse: „ […] Was den tTG-Proteinspeigel im Liquor betrifft, so stiess man auf einen signifikanten Einfluss […] von antipsychotischen Medikamenten […] Im Gegensatz zur männlichen Untergruppe fand man bei der weiblichen Gruppe einen starken Einfluss von Neuroleptika auf den Hirnzelltod. […] Überraschenderweise unterschieden sich atypische Antipsychotika in ihrer Neurotoxität nicht von typischen Neuroleptika. […] Die Befunde legen nahe, dass typische und atypische antipsychotische Medikamente speziell bei weiblichen Patienten Hirnzelltod verursachen.“ […]. Eine Reihe weiterer Studien und Übersichtsartikel berichten über neurodegenerative Prozesse der grauen Substanz (Aderhold et al., 2915; Cahn et al., 2002; Thompson et al., 2009; Aoyama et al., 2011; Ho et al., 2007, 2011)

 

„Hirnzellverluste können auch das Ergebnis zerebrovaskulärer Ereignisse sein, das heisst, Folgen von Blutgefässstörungen des Gehirns. Wie einer der Hersteller von Amisulprid informiert, betrifft dieses Risiko im Prinzip alle Neuroleptika-Behandelten: „In randomisierten (nach dem Zufallsprinzip aufgebauten), Placebo kontrollierten Studien mit an Demenz erkrankten Patienten, die mit einigen atypischen Neuroleptika behandelt wurden, wurde ein etwa um das Dreifache erhöhte Risiko für unerwünschte zerebrovaskuläre Ereignisse beobachtet. Der Mechanismus, der zu dieser Risikoerhöhung führt, ist unbekannt. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Wirkung auch bei der Anwendung anderer Antipsychotika oder bei anderen Patientengruppen auftritt.“ (ratiopharm GmbH, 2013, S.2).

 

Vorboten von Hirnzellverlusten sind Symptome, wie sie auch vom Frühstadium einer Alzheimer-Erkrankung bekannt sind: zunehmende Störung der Merkfähigkeit und der Orientierung, Nachlassen kognitiver, emotionaler und sozialer Fähigkeiten. Zerebrovaskuläre Ereignisse, Schlaganfälle inbegriffen, kündigen sich unter anderem durch plötzliche Erschlaffung, Taubheit im Gesicht, an Armen oder Beinen sowie durch Sprach- und Sehstörungen an. Risikofaktoren für Schlaganfälle, Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt, Herzschwäche sowie Nieren- und Gefässerkrankungen sind unter anderem Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes, Übergewicht und Bewegungsmangel – Probleme, die als unerwünschte Wirkungen von Antidepressiva und vor allem Neuroleptika auftreten können. […]

 

 

Aus dem Buch: „Neue Antidepressiva, atypische Neuroleptika“ Risiken, Placebo-Effekte, Niedrigdosierungen und Alternativen, Peter Lehmann, Volkmar Aderhold, Marc Rufer, Josef Zehentbauer, 2017, P.Lehmann Publishing

 

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