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Hormon- und Sexualstörungen

„Zwar gibt es umfangreiche Nachweise dafür, dass Antidepressiva vor allem der SSRI-Gruppe sexuelle Funktionsstörungen bei Männern und Frauen verursachen; die Schätzung ihres genauen Vorkommens ist schwierig. Die berichteten sexuellen Probleme sind umfangreich und reichen von vermindertem sexuellem Verlangen, verminderter sexueller Erregung, vermindertem oder verzögertem Orgasmus bis hin zu Erektionsproblemen oder verzögertem Samenerguss. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Hinweisen und Fallberichten über sexuelle Nebenwirkungen wie Priapismus, schmerzhafte Ejakulation, Empfindungslosigkeit am Penis, verminderte nächtliche Erektionen und spontan Ejakulation bei Männern sowie verlorene Empfindungen in der Scheide und an den Brustwarzen, anhaltende genitale Erregung und Milchbildung und –absonderung aus den Brustdrüsen ausserhalb der Stillzeit bei Frauen.“ (Higgis et al., 2010, S.149)

 

Berichten in psychiatrischen Zeitschriften zufolge soll die Häufigkeit solcher Störungen bei 30-50% (Prabhakar & Balon, 2010) oder noch höher (Balon, 2006) liegen. Zu Erkrankungen der Prostata äussern sich Hersteller und Verordner neuer Antidepressiva und atypischer Neuroleptika nur ausnahmsweise; dabei können die häufig auftretenden Blasenentleerungsstörungen deutliche Anzeichen für eine gut- oder bösartige Vergrösserung der Prostata sein.

 

Auch unter atypischen Neuroleptika treten vielfältige Sexualstörungen auf. Die ratiopharm GmbH (2013, S.3) informiert zu ihrem Amisulprid, die Prolaktin-Erhöhung führe zu spontanem Austreten von Muttermilch aus den Brustdrüsen, zum Ausbleiben der Regelblutung oder zur Zyklusstörungen, zu ein- oder beidseitiger Vergrösserung der männlichen Brustdrüsen, zu Brustschmerz und –vergrösserung, zu Prolaktinomen (gutartigen Tumoren der Hirnanhangsdrüse) sowie zu gestörter oder fehlender Erektion des Penis bei sexueller Erregung. Nach Absetzen des Neuroleptikums würde die erhöhte Prolaktin-Konzentration allerdings wieder zurückgehen. […]

 

In ihrer Information zu Haloperidol erwähnt die neuraxpharm-Arzneimittel GmbH (2014b, S.3) Experimente an organischen Gewebekulturen, die dafür sprechen, dass etwa ein Drittel der menschlichen Mammatumore (Tumore der Brustdrüse) Prolaktin-abhängig seien. Die Janssen-Cilag AG informiert ähnlich: „Mammatumore können die Folge erhöhter Prolaktinkonzentrationen im Blut sein. Zahlreiche Antipsychotika rufen auch beim Menschen eine Hyperprolaktinämie (erhöhte Prolaktin-Konzentration im Blut) hervor.“ (2015)

 

Tumore können bösartig werden, Tumore der Brustdrüsen können sich zu Brustkrebs entwickeln, in seltenen Fällen auch bei Männern. In welch hohem Ausmass Patientinnen psychiatrischer Anwendungen von Brustkrebs bedroht sind, geht aus einer Studie von Uriel Halbreich und Kollegen der Gynäkologischen Abteilung der State University of New York in Buffalo hervor. Halbreich und Kollegen verglichen Mammographien (Röntgenaufnahmen von Brüsten) von 275 Frauen, die älter als 40 waren und zwischen 1988 und 1993 im Buffalo Psychiatric Center behandelt wurden, mit Mammographien von 918 Patientinnen des Erie County Medical Center, einem Allgemeinkrankenhaus. Die beunruhigenden Ergebnisse führten sie unter anderem auf die durch Neuroleptika, Antidepressiva und Elektroschocks bedingte erhöhte Prolaktinausschüttung zurück: „Das Vorkommen von Brustkrebs, das durch Krankenberichte dokumentiert ist, war bei den psychiatrischen Patientinnen um mehr als das 3,5-fache höher als bei den Patientinnen des Allgemeinkrankenhauses und 9,5 mal höher, als man es von der Durchschnittsbevölkerung berichtet. Schlüsse: Falls bestätigt, könnte das befürchtete höhere Brustkrebsvorkommen unter der psychiatrischen Patientinnen den Medikamenten geschuldet sein.“ (1996, S.559)

 

In einer neueren Studie wertete man umfangreiche Datenbanken aus dem US-amerikanischen Bundesstaat New Jersey aus und identifizierte dabei 52.819 Frauen, die alle möglichen Substanzen mit Dopamin-hemmender Wirkung, darunter Neuroleptika, erhalten hatten. Diese Frauen wurden mit einer ähnlichen Zahl von Frauen verglichen, die solche Substanzen nicht erhalten hatten. Man fand heraus, dass Dopamin-blockierende Substanzen mit einem 16%igen Anstieg des Brustkrebsrisikos verbunden waren (Wang et al., 2002). Fettleibigkeit, wie sie von vielen Antidepressiva und Neuroleptika hervorgerufen wird, ist ein weiterer Risikofaktor für Brustkrebs. 2003 machten Halbreich und seine Kollegin Linda Kahn auf das spezielle Brustkrebsrisiko bei Risperidon aufmerksam:

 

„Man hat auch nachgewiesen, dass das neuartige Antipsychotikum Risperidon den Prolaktin-Spiegel erhöht. Patienten, die einer Behandlung mit diesem Medikament unterzogen werden, haben ein hohes Risiko, eine Hyperprolaktinämie zu entwickeln. Diese geht einher mit einer verminderten Knochenmineraldichte, Osteoporose (Knochenschwund), Menstruationsstörungen und Unfruchtbarkeit, Galaktorrhoe (spontanes Austreten von Muttermilch aus den Brustdrüsen), Brustkrebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sexueller Beeinträchtigung.“ (344)

 

Die vom erhöhten Prolaktin-Spiegel ausgelösten Sexualstörungen aller Art können als Frühwarnsymptome von Geschwulstbildungen in den Brustdrüsen verstanden werden. […]

 

 

Aus dem Buch: „Neue Antidepressiva, atypische Neuroleptika“ Risiken, Placebo-Effekte, Niedrigdosierungen und Alternativen, Peter Lehmann, Volkmar Aderhold, Marc Rufer, Josef Zehentbauer, 2017, P.Lehmann Publishing

 

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