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Warum der Körper oft die Brücke zum Gefühl ist.

Ich erlebe ab und zu Menschen welche sich aufgrund ihrer Therapie- oder Psychiatrieerfahrung verbal sehr gekonnt und reflektiert über ihre Probleme und ihre Gefühle äussern können. Anfangs war ich dann jeweils überrascht, wie wenig diesen Menschen das ganze Wissen zu helfen scheint sobald sie wieder mit ähnlich belastenden Situationen konfrontiert werden. Es genügt ein Reiz (das kann ein Geruch, ein Musikstück, eine Begegnung etc. sein) welcher einen inneren Schmerz, eine nicht verarbeitete Erinnerung wachruft und dann sind auf einmal all ihre Erkenntnisse weg. Warum ist das so? Eine von vielen möglichen Antworten kann die Existenz von zwei grossen Teilbereichen des Gehirns sein:

 

„Im Innersten, ganz in der Mitte, befindet sich das uralte Gehirn, das uns und allen Säugetieren, in gewissen Teilen auch den Reptilien, gemeinsam ist. Dies ist die erste Schicht, die im Verlauf der Evolution abgelagert wurde. Der grosse französische Neurologe des 19. Jahrhunderts, Paul Broca, der sie als Erster beschrieb, gab ihr den Namen „limbisches“ Gehirn. Um dieses limbische Gehirn herum hat sich im Verlauf von Jahrmillionen der Evolution eine jüngere Schicht gebildet, das „neue“ Gehirn oder der „Neokortex“[…] In den Augen Damasios (Neurologe) ist das psychische Leben das Ergebnis eines fortwährenden Versuchs einer Symbiose zwischen den beiden Gehirnen. Auf der einen Seite ein kognitives Gehirn: bewusst, rational und der Aussenwelt zugewandt. Andererseits ein emotionales Gehirn: unbewusst, zuvorderst aufs Überleben bedacht und vor allem: in engem Kontakt mit dem Körper. Diese beiden Gehirne sind relativ unabhängig voneinander und beeinflussen jedes auf sehr unterschiedliche Weise unsere Lebenserfahrungen sowie unser Verhalten.“ (Servan-Schreiber, 2006: 33,34) 

 

Da, dass emotionale Gehirn einen so engen Kontakt zum Körper hat, könnte das eine Erklärung dafür sein, dass man alleine über die Sprache oft nicht an die tieferen Gefühle herankommt. Das beschreibt folgendes Beispiel:

 

„Nach zwei Jahren Analyse verstand Marianne ihr Problem sehr genau. […] Da sie ständig auf ihre Gedanken und die Sprache fixiert war, hatte sie, wie ihr jetzt klar wurde, auf der Couch nie geweint. Zu ihrer grossen Überraschung hatte sie ausgerechnet bei einer Masseurin […] plötzlich zu ihren Gefühlen zurück gefunden. Dabei lag sie auf dem Rücken, und die Masseurin behandelte behutsam den Bauch. Als sie nahe an einen ganz bestimmten Punkt unterhalb des Nabels kam, spürte Marianne, wie ein Schluchzer in ihr aufstieg. […] Dieses Gefühl, das sie lange in ihrem Kopf gesucht hatte, war stets da gewesen, versteckt in ihrem Körper. […]“(Servan-Schreiber, 2006: 36,37) 

 

An der Universität Yale konnte ein Team beweisen, dass das emotionale Gehirn über die Fähigkeit verfügt, den präfontalen Kortex, den am höchsten entwickelten Bereich des kognitiven Gehirns, einfach „abzuschalten“. Unter Einwirkung von Stress ist also der präfontale Kortex nicht mehr handlungsfähig (vgl. Servan-Schreiber, 2006: 41). Das könnte eine mögliche Erklärung dafür sein, dass all das „Kopf-Wissen“ in der jeweiligen belastenden Situation nicht mehr abrufbar ist.

 

So wie ich es verstehe, kann dieses „Abschalten“ oder „Abtrennen“ vom kognitiven und emotionalen Gehirn ein möglicher Grund dafür sein, dass wir innerlich nicht mehr im Gleichgewicht sind.

 

„Durch die Trennung von Denk- und Gefühlsapparat können wir die Fähigkeit verlieren, die kleinen Alarmsignale unseres limbischen Systems wahrzunehmen. Ständig finden wir tausend Gründe, nicht aus einer Ehe oder einem Beruf auszubrechen, unter denen wir in Wirklichkeit leiden, weil wir tagtäglich unseren innersten Werten Gewalt antun. Doch die Verzweiflung verschwindet keinesfalls dadurch, dass wir vor der ihr zu Grunde liegenden Bedrängnis die Augen verschliessen. Da der Körper das wichtigste Betätigungsfeld des emotionalen Gehirns ist, äussert diese ausweglose Situation sich in körperlichen Problemen. Die Symptome sind die klassischen Stresskrankheiten: unerklärliche Müdigkeit, Bluthochdruck, Erkältungen, Herzkrankheiten, Magen-/Darmbeschwerden und Hautprobleme. Forscher in Berkeley sind sogar der Ansicht, nicht die emotionalen Gefühle als solche, sondern ihre Unterdrückung durch das Denken belaste unser Herz und Arterien.“ (Servan-Schreiber, 2006: 45)

 

Dass das Unterdrücken von Gefühlen nicht heilsam ist, ist allgemein bekannt, dass aber die Brücke zu diesen Gefühlen der Körper sein kann, geht in meiner Wahrnehmung oft vergessen.

 

Es wird davon ausgegangen, dass in jenen Momenten, in welchen das kognitive- und emotionale Gehirn miteinander im Einklang sind, sich der Mensch wohl fühlt, was sich physisch in einem Lächeln ausdrücken kann. (vgl. Servan-Schreiber, 2006: 46)

 

Brigitte Zürcher

 

Zitate aus: David Servan-Schreiber, Die Neue Medizin der Emotionen, Goldmann, 2006

 

 

 

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