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Die Stimmen begleiten mein Leben

Drei bis fünf Prozent aller Menschen hören Stimmen oder haben irgendwann einmal in ihrem Leben Stimmen gehört. In der Psychiatrie gilt Stimmenhören immer noch als Zeichen für eine schwere psychische Störung, und auch heute noch besteht die Behandlung in den meisten Fällen ausschliesslich aus Psychopharmaka. […]

 

1990 erzählte ich in einer Klinik zum ersten Mal von den Stimmen. Seitdem habe ich sechs verschiedene psychiatrische Diagnosen erhalten, von denen die „Schizophrenie“ mich am meisten betroffen machte. Viele Neuroleptika wurden bei mir ausprobiert, die Stimmen waren dagegen aber immun. Mein schlimmstes Erlebnis war als ich Haldol nehmen musste, das ja bei Stimmenhören noch immer das Mittel der Wahl ist. Verunsichert durch die Diagnosen der PsychiaterInnen und ihren Beteuerungen, dass ich unheilbar psychisch krank sei, resignierte ich und ergab mich in mein Schicksal. Das hatte zur Folge, dass die Stimmen immer aggressiver wurden. Ich führte einen Dauerkampf mit ihnen, der mich zu einer Drehtürpatientin machte.

 

1992 […] traf ich auf eine Sozialarbeiterin, die mich im Kampf gegen die Stimmen unterstützte, indem sie mich und meine Stimmen sehr ernst nahm. […] Heute kann ich das Anschwellen des Stimmengemurmels als Warnung wahrnehmen: irgendetwas ist dann bei mir nicht in Ordnung. Das kann zu grosser Druck sein, den andere auf mich ausüben oder den ich mir selber mache, oder eine Konfliktsituation, die ich noch nicht als solche erkannt habe. Dann können die Stimmen wie ungezogene Kinder sein, die ich an einem ungestörten Ort scharf zurechtweisen muss.

 

Wenn ich gewusst hätte, wie befreiend das Reden über meine Stimmen mit anderen Betroffenen sein kann! Erst in unserer Selbsthilfegruppe habe ich gelernt, dass ich meine Stimmen im Zusammenhang mit meiner Lebensgeschichte sehen sollte. […]

 

Der Hauptgrund, warum ich jetzt seit 1997 ohne Klinik und ohne Psychopharmaka leben kann, ist sicher, dass ich mich in der Stimmenhörer-Bewegung engagiert habe. [..] Ich habe mich von einer Betroffenen zu einer Expertin in eigener Sache entwickelt. Seit Mai 1998 gibt es in Deutschland das Netzwerk Stimmenhören (kurz NeSt.) In diesem Netzwerk sind Betroffene (die Experten durch Erfahrung), im psychiatrischen Bereich Tätige (die Experten durch den Beruf) und Angehörige organisiert. Wir begegnen uns auf gleicher Augenhöhe […]

 

Hannelore Klafki: Die Stimmen begleiten mein Leben

 

Peter Lehmann, Peter Stastny (Hg.), Statt Psychiatrie 2

 

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