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Depressionen vergehen in der Regel von selbst

Was passiert eigentlich längerfristig, wenn man bei einer Depression gar nichts tut? Wie ist der Verlauf der unbehandelten Krankheit? […] Die WHO hat sich etwas einfallen lassen, um diese Frage anzugehen. Im Rahmen einer Längsschnitt-Studie […] identifizierten Epidemiologen insgesamt 740 depressive Patienten. […] Die depressiven Patienten wurden in vier Gruppen unterteilt: (A) diagnostizierte Patienten, die mit Antidepressiva behandelt wurden, (B) diagnostizierte Patienten, die mit einem Beruhigungsmittel (z.B. Benzodiazepinen) behandelt wurden, (C) diagnostizierte Patienten, die keine Medikamente erhielten und (D) Patienten, die nicht als depressiv diagnostiziert wurden und demzufolge ebenfalls keine Medikamente erhielten.

 

Drei und zwölf Monate nach der Erstuntersuchung wurde der Gesundheitszustand der Patienten erneut erhoben. Die Ausgangshypothesen der WHO – Experten waren gemäss Lehrmeinung: Die mit Antidepressiva behandelten Patienten sollten eigentlich den besten Verlauf zeigen, die nichtdiagnostizierten und die nicht therapierten Depressiven den schlechtesten. Heraus kam aber das Gegenteil. Die 484 Patienten, die keine Psychopharmaka erhielten, erfreuten sich ein Jahr nach der Eingangsuntersuchung einer besseren Gesundheit und hatten deutlich mildere Symptome als die medikamentös behandelten Patienten. […] „Die Untersuchung unterstützt die Ansicht nicht, dass das Nichterkennen einer Depression ernsthafte negative Auswirkungen hat […]“, schlussfolgern die WHO – Experten in ihrem Studienbericht.

 

Was schon Psychiatriepionier Emil Kraeplin wusste, wurde mal mehr bestätigt: Auch wenn es seine Zeit braucht – und diese Zeit grosses Leiden bedeuten kann – akute Depressionen vergehen in der Regel von selbst. Und behandelt man eine Depression nicht mit Medikamenten, so führt dies überhaupt nicht zwingend zu einer Chronifizierung der Krankheit. Die weitverbreitete Meinung, man müsse bei einer Erkrankung möglichst früh eingreifen, ist in der Psychiatrie oft falsch. Eine depressive Störung ist ja kein Tumor, der unkontrolliert weiter wächst, wenn man nichts dagegen unternimmt.

 

Felix Hasler, Neuromythologie, transcript

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